An Ringelnatz

Das ist die Stimme des Lebens:
Für eine Mark 90 kartoniert!
148 Seiten! Mich friert.
Viel trauriger Spaß steht in den Spalten
(Der Magenkrebs war nicht aufzuhalten)
Oft lese ich einsam zur Nacht
Was du gedichtet
Ja die „Alten“
Die gestern noch „lachten“
Sind heute schon Erde
Ich werde
Dich neu vergessen und manchmal nachts
Da seh ich dich spuken!

8. 1. 56, 11-12 Uhr

Weißer Flieder

Dufttrauben.
Erhobene Hände
Unsichtbarer Tänzerinnen –
Das blaue Wehn der Nacht
Ist von dem noblen Weiß befangen
Und wiegt mit scheuem Gruß die stille Pracht
Und die Millionen kleinen Blüten bangen
Nicht vor dem Ende schon und zeigen,
Ihm dankend, ihr Ballett im parkverborgenen Reigen.

13. - 16. Mai 1958

Septembernacht

Nun stehen die dunklen Wälder
Traumschwer in klarer Nacht.
Die Nebel wallen nieder
Auf die Wipfel sacht.

Der Moorteich ruht verwunschen
In seiner Märchenwelt.
Über den hohen Tannen
Ein Stern hernieder fällt.

Ein Mensch in stiller Kammer
Sieht fallen dieses Licht
Und sinnt und stumme Trauer
Umweht sein Angesicht!

17. 9. 29

Visionäre Empfindung

Weißt du, dass nachts die dunklen Vögel kommen?
Du hörst sie rauschen durch den grauen Schlaf –
Vielleicht weil sich ein andres Sein
Mit deinem traf. –
Ach, dies Empfinden macht dich ganz beklommen,
Das aus dem Grund der großen Erde bricht
Und suchend wandert zu der Sterne Licht.
Du weißt nur, dass die dunklen Vögel kommen.

22. 2. 47

Ohne Titel (Da geht einer von dir fort)

Da geht einer von dir fort
Und zieht in ein andres Haus
Und an diesem fremden Ort
Zog ein anderer vor ihm aus.

Ach in deinem eignen Bett
Starb schon wer in grauer Nacht,
Kaum verglühte das Skelett
Wurde prompt ein Kind gemacht!

Ja, ich weiß, wie weh mir ist.
Wenn zur Nacht dein Fenster scheint.
Gut, dass du dort oben bist
Und nicht weißt, wer um dich weint.

Dezember 1932

An Anni (Ich wollte für dich dichten…)

Ich wollte für Dich dichten
Aber war nie allein.
Die blöden Menschen störten.
Ich konnte nicht einsam sein.
Ach, ich wäre gerne auf einer Wiese mit Dir
Wo einsame Birken ständen.
Dort schwieg ich still
Und fasst nach Deinen Händen
Und sähe Dir stumm ins Angesicht!

Aber Du weißt, das kann ich nicht!
Ich liege wie ein Vergessner allein
Und draußen ist Dunkelheit und Wolkenlicht.
Fern rauschen die Wälder, hörst du sie nicht?
Das Schicksal kann grausam sein!
Muss ich immer im Dunkeln sein?
Nein ich halte ein Schwert in der Hand
„Lebensmut“ genannt!
Und ich werde bei leuchtenden Birken stehn
Und in dein Antlitz sehn.
Du wirst verstehn!

22. 6. 31

An Anni (Wir werden uns…)

„Wir werden uns morgen wiedersehen!“
Du sagtest es glücklich und froh.
Ahnst du, was bis zum Tag geschehen?
Du weißt es nicht, Du sprachst nicht lächelnd so!

Zehntausend sterben im verkrampften Schrei,
Und Hundertausend weinen stumm.
Vielleicht ist unser Freund dabei!
Gewiss, gewiss auch diese Nacht geht um!

Und manche noch! So viele Tage auch
Und stets liegt Grab und Qual darin,
Und dennoch ist beim Morgenhauch –
Nur weil du nahst – mir froh zu Sinn.

21. 8. 31

Juninacht am See

Die Ufer heben Sterne in die Nacht
In Ihrem Lichtkreis ruhen Menschen aus.
Lautlos löst sich ein Kahn und treibt hinaus.
Der See scheint Ewigkeit – so weit und schweigt
Von mattem Mondglanz silbern überdacht.
Aus eines Erkers zimmertiefem Blau
Löst sich ein Mensch und geigt
Bis sich ein Frauenantlitz niederneigt…
Die Nacht der Liebenden und der Poeten
Und aller Wachen, die im Dunkel sehn –
Die wortlos von den letzten Dingen reden
Und zu sich selbst nach Hause gehen.

Und immer wieder

Und immer wieder ruft’s mich in die Tiefe:
Komm, komm zu uns, wir sind die große Ruh!
Als wenn mich eine Erdenstimme riefe,
Drückt es mir schwer und müd die Augen zu.

zu viel gehetzt, zu blutig schon zerrieben,
So taumle ich nach tausenfachem Fall.
Willkommen, Nacht, du bist mir noch geblieben
Willkommen, Nacht und Schlaf und Tod und All.

An… (Da Schritt ich einsam…)

Da Schritt ich einsam durch die Herbstesnacht.
Die Gassen gkänztem im Laternenlicht,
Die Häuser still von Sternen überdacht,
Und Schatten dunkelten mein Angesicht.

So schritt ich einsam, ach, kein Freund und Feind,
Den fernsten Weg betrat ich brüderlich.
Mein Innres schwang von Firmanennt vereint,
Und alles Stille rief nur mich, nur mich!

In dieser Stunde scheinst du nah und tot,
So fern und weit und doch in meinem Gang.
Du warst wie Morgen- und wie Abendrot –
Und wie der Geige dunkelsmatner Sang.

O hoffnungsloses Hoffen, das ich trug!
Wer bist du noch für mein geprüftes Blut?
Ein Wetterleuchten und ein Schattenflug –
Ein teures und ein erdverwehrtes Gut.

Ich ging nach Hause und ich sehnte mich,
Im Schlaf Jahrtausende verwünscht zu sein,
Und dachte noch einmal an dich, an dich
Und schlummerte verweint und selig ein.

26. 7. 27