Meinem Sohn!

Mein lieber Sohn, wie liegst du schlank und braun
In deinem Bett, so herrlich anzuschaun.
Wirst du, wie ich, in Wolkenhöhen gehen.
Und auch, gleich mir, die tiefsten Tiefen sehen?
Wirst du, Geliebter, schönen Frauen fluchen
Und dennoch stets in ihnen Gutes suchen?
Wirst du, wie ich, in unnennbarem Trauern
Dem Eros dienen und trotz Wonneschauern
Entsetzt erkennen, dass du ganz allein
Und auch die Liebe nicht kann Heimat sein?
Bewahre dich, mein Kind, vor solchen Dingen
Was ich gelitten, soll dich nie bezwingen
Und was ich litt um eine neue Erde,
Für diese Welt, die keine Qual bekehrte,
Sei dir ganz fern. Das Zuchthaus ist wie Tod!-
Kommt aber dennoch einst das Morgenrot,
Dann, lieber Sohn, sei in den ersten Reihen!
Ich könnte dir auch nicht im Grab verzeihen,
Wärst du nicht stark und der Vollendung nah!
Doch schlafe jetzt, bald schläft auch dein Papa,
Doch muss er noch ganz leis ans Fenster gehen
Und ernst und prüfend nach den Sternen sehen.

12.7.1945

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