Die Dirne

Die Zeit hat sie geboren.
Sie ist ihr Laster, lästernd diese Welt.
Sie ist Genuß und Gier und Geld,
Verloren
Wie die Gesellschaft, die sie schuf,
Sie straft und hetzt und duldet
Und auf Plakaten ihren frechen Ruf
Zum dunklen Tun — läßt schrein.
Denn — vor dem feigen Sein und Sterben,
Vor Mord und Lüge, Leid und Prahlerei
Will Gift der Bürger — Gift! Will in den Schoß
Versinken wie im Bauch der Erde. —
Versinken vor der Schuld, tief, ruhelos!
Das Fleisch anbeten, so, als sei es Rettung
Vor dem Vergehen!
Und sie sehen
Die schreckliche Verkettung
Der Dinge nicht
Und spüren nicht den Dunst der Not
In Weihrauchwolken süsslichen Parfüms
Und schänden ihre Mütter in dem Weib,
Das sie besitzen (nur zum Schein)!
Und schänden ihre Schwester, alle Frauen,
Die Zukunft, unser Menschenbild!
So ist die Dirne Zeugin ihrer Schmach
Im Lichterglanz, in feuchten, schmalen Gassen,
So muß sie ihren Feind verachten, hassen.

27.9.1952, 11-12 Uhr

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